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Mythos Innovation

Mythos Innovation

Dieses Essay kann nicht bis ins letzte Detail die Frage klären, wie Innovation entsteht oder wie man die eierlegende Wollmilchsau produziert. Vielmehr sollen grundsätzliche Denkhaltungen über die Entstehung von Innovation gegenüber gestellt werden. In weiterer Folge sollen Argumente und Gegenargumente für diese Perspektiven entwickelt werden, um am Ende eine Präferenz für eine Sichtweise zu erlangen. Der eingeschlagene Weg soll nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sondern vielmehr als Diskussionsanstoß dienen.

In weiterer Folge sollen Argumente und Gegenargumente für diese Perspektiven entwickelt werden, um am Ende eine Präferenz für eine Sichtweise zu erlangen. Der eingeschlagene Weg soll nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sondern vielmehr als Diskussionsanstoß dienen.

„Heureka!“ (Griechisch für „Ich habe es gefunden“), stieß Archimedes hervor und lief, wenn man der Geschichte glauben darf, nackt und jubelnd durch die Straßen Siziliens. Archimedes hatte just in diesem Moment das nach ihm benannte Prinzip erkannt, wonach sich die Wichte (ist das Verhältnis der Gewichtskraft eines Körpers zu seinem Volumen) eines beliebigen Gegenstandes bestimmen lässt, indem man dessen Gewicht mit dem des Wassers vergleicht, welches es in einer Badewanne verdrängt. Nicht nur Archimedes, sondern auch andere große Köpfe der Menschheitsgeschichte wie Leonardo da Vinci oder Albert Einstein, aber auch der Mann/die Frau von der Straße sind zeit ihres Lebens manchmal mehr, manchmal weniger gesegnet mit einem lichten Moment eines Geistesblitzes, der eine vielleicht gänzlich neue Idee in die Welt zu setzen vermag. Dieser beinahe magische Akt soll Thema dieses Aufsatzes sein. Im Detail dreht es sich um Innovation und um die Fragestellung wie Innovation entsteht oder was uns zu Innovation zwingt. Dabei ist nicht von Relevanz, wie sich Innovation verbreitet, warum Innovation A sich besser macht als Innovation B, oder warum Innovationen nicht angenommen werden. Es geht vielmehr um den atomaren Zeitpunkt der Kreation einer Innovation. Dabei offenbaren sich drei grundlegende Thesen: Die erste der drei Antworten auf die Innovationsentstehung entspricht der wohl populären Meinung, dass Innovation einen Geistesblitz eines besonderen Individuums bedarf. Statistisch gesehen sind solch hochbegabte Geister außerordentlich selten in einer Population zu finden. In diesem Sinne entspricht Archimedes einem statistischen Glücksfall in der Menschheitsgeschichte. Gemäß dem Motto Die Zeit ist reif beschäftigt sich die zweite These mit der Evolution, wonach Innovation eine gewisse Zwangsläufigkeit erfährt und just in einem bestimmten Moment der Geschichte entstehen musste. Hätte Archimedes nicht die Wichte-Berechnung entwickelt, hätte dies bestimmt ein anderer kluger Erfinder ein paar Jahre später getan. Im dritten und letzten Ansatz wird mit der kybernetischen Brille der Innovationsprozess beleuchtet. Unter diesem Aspekt entsteht Innovation im Spannungsfeld zwischen sozialen, kulturellen und individuellen Prozessen, wonach feine Änderungen im Gesamtsystem zu Innovationsprozessen führen.

Bevor auf die drei Ansätze detailliert eingegangen wird, soll der Begriff Innovation selbst herausgearbeitet werden. Gemäß Definition ist eine Innovation eine Idee, Praktik oder ein Objekt, welches als neu von einem Individuum oder mehreren Individuen wahrgenommen wird. Innovation wird oftmals synonym mit dem Begriff Technologie verwendet. Eine Technologie ist ein Design um die Unsicherheit in einem System zu vermindern, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Dabei besteht Technologie für gewöhnlich aus Hardware- und Software-Komponenten. Neben den großen technischen Errungenschaften der Zeitgeschichte wie der Dampfmaschine, dem Flugzeug oder dem Computer, wo die Hardware dominiert, gibt es aber auch zahlreiche Innovationen, in denen die Information bzw. die Software überwiegt. Hierbei sind politische Ideologien wie Marxismus und Kapitalismus, religiöse Ideen wie das Christentum oder Judentum, News-Ereignisse, sowie Maßnahmen und Kampagnen bspw. gegen das Rauchen oder zur Aufklärung gegen Aids zu nennen. Innovationen sagen per se noch nichts darüber aus, wie erfolgreich sich diese verbreiten werden. Dieser Vorgang kann sehr langsam über mehrere Jahrzehnte oder sehr schnell in wenigen Stunden erfolgen oder aber erst gar nicht angenommen werden. Innovation entspricht auf der Zeitlinie bzw. der Historie einem wohldefiniertem Zeitpunkt, in dem sich lose Gedankenfetzen zu einem klaren, neuartigen Konzept verformen. In Wirklichkeit entsprechen Innovationen wohl eher einem Prozess innerhalb eines nicht eingrenzbaren Zeithorizonts, an dessen Ende ein bestimmtes Ergebnis in Form einer Ideologie, Methodik, Maßnahme, Kampagne, Nachricht, Entwicklung oder Erfindung steht. Der Zeitpunkt der Entstehung und der Prozess davor kann nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, um dem Geheimnis der Innovationsentstehung auf die Spur zu kommen. Unter Bezugnahme von Archimedes‘ Wichtebestimmungsmethode sollen die bereits drei angerissenen Ansätze beleuchtet werden.

(1) Innovation als statistischer Glücksfall oder: „Archimedes, du Glückspilz!“

Wer war Archimedes, wo lebte er und wie kam es schließlich zum Archimedischen Prinzip? Der brillante Denker Archimedes verbrachte einen Großteil seines Lebens in der Stadt Syrakus auf Sizilien. Es waren äußerst kriegerische Zeiten, die später als die Punischen Kriege bekannt geworden sind, eine Zeit, in der Hannibal die Alpen mit Elefanten überqueren wollte um Rom zu besiegen und eine Zeit, in der Archimedes‘ Heimatstadt oftmals von den Römern belagert wurde. Deswegen reifte er nicht nur zu Höchstleistungen auf den Gebieten der Mathematik, Physik und Mechanik, sondern entwarf auch allerlei Kriegswaffen zur Verteidigung seiner Heimatstadt. In seiner Studienzeit fand er seinen Lehrmeister in einem Schüler des griechischen Mathematik-Genies Euklid, der zu dieser Zeit bereits verstorben war. König Heiron II. von Syrakus trat eines Tages vor Archimedes, da er wissen wollte, ob die in Auftrag gegebene Krone aus reinem Gold bestand. Der König war nämlich misstrauisch geworden, ob der Goldschmied diese nicht mittels einer Legierung aus Silber und Gold gefertigt hatte. Archimedes fiel zunächst nichts Besseres ein, als die Krone einschmelzen zu lassen, doch eines Tages, als er in die Badewanne stieg, kam ihm die Erleuchtung und die Geschichte nahm ihren Lauf. Das Archimedische Prinzip, ein wichtiges Gesetz der Hydrostatik, ward entdeckt.

Verdankt Archimedes seine Entdeckungen und insbesondere das Archimedische Prinzip einer glücklichen Gen-Kombination bzw. einem hohen Intelligenzquotienten? Zumindest Skepsis ist angebracht, da auch hochbegabte Menschen genauso gut zu Serienmördern reifen können und der Gesellschaft einen Bärendienst erweisen, geschweige denn, Innovationen hervorbringen. Hochbegabung ist keine hinreichende Bedingung für Innovation. Ob nun ein überdurchschnittlicher IQ oder nicht, Archimedes musste über großes Wissen verfügen wie die Welt um ihn beschaffen sein muss. Doch woher nahm er dieses Wissen, das Grundlage für Innovation ist? Wissen entsteht nicht aus dem Nichts. Wissen entsteht a priori aus Erfahrungen über die Welt, die mittels der menschlichen Sinne als Informationen bereitgestellt werden. Eine Sichtweise ist, dass diese Information durch den Akt des Denkens in Wissen transformiert wird. Wissen kann diesbezüglich nur in den Köpfen von Menschen stecken, in diesem Fall in Archimedes‘ Kopf. Ein anderer Ansatz ist, dass Wissen vielmehr in der Gemeinschaft als im Individuum verankert ist. In diesem Sinne übersteigt das Wissen den menschlichen Geist und ist über die Maße kontextabhängig. Archimedes erfährt Wissen nicht nur durch das Studium bzw. Ausbildung oder durch den sozialen Austausch mit den anderen griechischen Gelehrten, sondern auch durch die konkrete Interaktion mit seiner direkten Umwelt, die sowohl die menschlichen Beziehungen, als auch die Erfahrungen mit Objekten integriert. Auch Archimedes hatte zusätzlich zu seinem Verstand Hilfsmittel zur Verfügung, wie bspw. einen Abakus, der objektiviertes Wissen von Generationen darstellt, ohne welches Archimedes viele seiner mathematischen und physikalischen Errungenschaften nicht realisieren hätte können. Dieser Austausch von Wissen („Knowledge Sharing“), vor allem in Organisationen, wird heutzutage immer mehr in Systemen bzw. im Kontext erforscht, wobei Akteure, Artefakte und soziale Regeln von Relevanz sind. In diesem Sinne können Komponenten eines Systems nicht mehr separat betrachtet werden, um größere Zusammenhänge verstehen zu wollen.

Hätte Archimedes die Wichte-Berechnung auch herausgefunden, wäre sein König nicht so misstrauisch gewesen? Diese Frage ist müßig zu klären, aber berechtigt. Erst der Anreiz ein konkretes Problem zu lösen, veranlasste Archimedes darüber nachzudenken. Die Rahmenbedingungen bzw. der Kontext sind vermeintlich unabdingbare Faktoren, die Innovationen entscheidend beeinflussen und auslösen können. Die Analyse der Vernetzung von mehreren Komponenten eines Aktivitätssystems kann uns mehr über Innovation sagen, als der alleinige Fokus auf einen grenzgenialen griechischen Erfinder. Archimedes als Glücksfall der Geschichte zu bezeichnen, würde seinem Ego sicherlich zusagen, würde aber wohl zu kurz greifen. Statistisch ideale Gen-Kombinationen entscheiden nicht über Innovation. Vielmehr ist ein großer Geist abhängig von der Einbindung in die Geschichte, in einen konkreten Kontext, wo seine Talente gefordert werden. Selbst eine banale Badewanne kann insofern zum Stein des Anstoßes werden. Besonders kriegerische Zeiten, in denen Archimedes lebte, fördern oftmals innovative Prozesse, die zwar oftmals nur zur Entwicklung von besseren und effektiveren Kriegswaffen verunglimpft werden, aber darüber hinaus auch das größte soziale Netzwerk der Welt hervorbrachten. Kriege bzw. Systeme mit hohem Unsicherheitsgrad scheinen in dieser Hinsicht einen Treiber von Innovation darzustellen.

Ob dieses Zusammenspiel von Faktoren für die Entstehung von Innovation statistisch nun glücklich ist oder doch zwangsläufig so passieren musste, soll sich in der zweiten These auflösen.

(2) Innovation als evolutionäre Zwangsläufigkeit oder: „Archimedes? Who cares!“

Auf Basis der Argumente im vorangehenden Abschnitt soll die Entstehung von Innovation folgend zusammengefasst werden: Große Geister existieren nicht im luftleeren Raum, genauso wenig existiert eine Innovation im Vakuum, sondern verfügt über Prädispositionen und Umgebungsvariablen. Blumiger ausgedrückt verfügt jede Innovation über eine Geschichte mit Akteuren, die eine Vorgeschichte haben, die ein Problem oder ein Ziel haben, die gewisse Fähigkeiten besitzen und, die in einer konkreten Umwelt existieren.

Im zweiten Abschnitt soll proklamiert werden, dass es nicht wichtig ist, wer, sondern, dass jemand diese Erfindung machen musste. In diesem Sinne ist es nicht von Bedeutung, dass just Archimedes die Wichte von Gegenständen entdeckt hatte, denn hätte dies Archimedes nicht getan, hätte es wohl nicht allzu lange gedauert bis ein anderer findiger Ingenieur diese Entdeckung gemacht hätte. Und in der Tat gibt es unzählige Beispiele in der Geschichte, bei denen mehrere Personen unabhängig voneinander an der Entwicklung einer neuen Formel, eines neuen Geräts oder anderen Innovationen gearbeitet haben. In vielen Fällen ist dies erst Jahre danach herausgekommen. Beispielsweise arbeiteten mehrere Parteien in den USA unabhängig voneinander an der Lösung des Problems der örtlichen Gebundenheit von Kommunikation. Allerdings setzte sich das System zur Überwindung des Problems erst Jahre danach wirklich durch, indem der Erfinder und Großunternehmer Alexander Graham Bell das Telefon kapitalisieren und damit Millionen Menschen erreichen konnte. Ein Ausschnitt aus Wikipedia belegt das schwere Los von Bell’s Vorgänger:

„Bereits 1860 hatte der italo-amerikanische Erfinder Antonio Meucci einen Fernsprechapparat vorgestellt und 1871 einen Patentantrag gestellt. Für die endgültige Anmeldung konnte er, der sich damals in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befand, jedoch die Kosten nicht aufbringen und die Gültigkeit der Vormerkung erlosch 1873. Inzwischen war Bell, der jetzt in den ehemaligen Werkstätten von Meucci arbeitete, auf dessen Materialien und Unterlagen gestoßen und konnte sie als Grundlage für sein Telefon nutzen. (…) Trotz jahrzehntelanger Streitigkeiten gelang es Antonio Meucci nicht, das Patent oder wenigstens finanzielle Entschädigungen von Bell zu erhalten. Er starb als verarmter Mann.“

Die Existenz von parallelen Innovationen von zeitlich oder örtlich unabhängig entwickelnden und erfindenden Menschen leistet gewiss der zweiten These Vorschub. Aber nicht immer liegen nur wenige Jahre zwischen parallelen Entdeckungen, die die Welt verändern sollten. Die Vermutung, dass die Erde nicht im Zentrum des Universums fixiert ist, wurde nicht erst von Galileo Galilei erkannt, sondern schon von vielen anderen Sternenforschern und Querköpfen und dies sogar Jahrhunderte vor der Geburt Galileis. Auch die Legende, dass erst Christoph Kolumbus kommen musste, um zu beweisen, dass die Erde annähernd eine Kugel ist, scheint irrwitzig, da schon in der Antike nur wenige an der Scheibenform unseres Planeten festhielten. Ob nun wenige Tage oder Jahrtausende zwischen parallelen Innovationen liegen, lassen sie doch Skepsis aufkommen, ob bestimmte Innovationen nun doch zwangsläufig entstehen müssen.

Eine evolutionäre Zwangsläufigkeit von Innovation würde analog bedeuten, dass es einen vorgezeichneten Weg in der Geschichte gibt. Im Sinne eines deterministischen Systems würde Innovation universellen Prinzipien gehorchen und durch eine unsichtbare Hand erfolgen. Doch schon die Quantenphysik und insbesondere die Heisenberg’sche Unbestimmtheitsrelation beweisen, dass Indeterminismus ein Bestandteil unseres Universums ist, wenn auch nur im Mikrokosmos. Zufall, Wahrscheinlichkeit und Unbestimmtheit passen nicht ohne weiteres ins deterministische Weltbild.

Ein weiteres Gegenargument liefert der Konstruktivismus. Gemäß einer Inszenierung wird die Welt erst durch uns hervorgebracht. Demzufolge werden Wissen, Erkenntnisse, Zusammenhänge, Ideen und andere Inhalte vom Menschen konstruiert und sind nicht naturgegeben. Diese Denkweise widerspricht auch der Möglichkeit einer Objektivität und basiert stattdessen auf subjektiven Beobachterpositionen. Die Wichte wurde in diesem Zusammenhang nicht von Archimedes entdeckt, sondern vielmehr konstruiert. Es ist kein universelles Prinzip, das in der Welt versteckt ist und gefunden werden kann, sondern eine Hilfestellung, eine Konstruktion, für den Menschen, um mit seiner Welt umzugehen. Die Evolution sagt nicht zwangsläufig, dass etwas passieren muss. Vielmehr ist sie ein Prinzip oder Modell, wie wir unsere Entstehung und Entwicklung herleiten und erklären können. Innovationen entstehen zwar des Öfteren, als wenn es gerade notwendig erschien, aber allein wenn wir uns andere (insbesondere indigene) traditionsorientierte Kulturen anschauen, wird man erkennen, dass dort Innovationen nur geringe oder gar keine Rolle spielen, obwohl mancherorts diese notwendig gewesen wäre, um das eigene Fortbestehen zu sichern. Insofern ist Innovation ein konstruktivistischer Akt, der durch soziale Strukturen und Prozesse getriggert werden kann.

Wenn wir der Überzeugung folgen, dass Innovation keinen universellen Prinzipien gehorcht und aus der subjektiven Konstruktion des Individuums entsteht, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir wieder bei der Eingangsthese angelangt sind und unser Fortschritt letztlich abhängt von Zufall und der subjektiven Verwirklichung eines Genies wie Archimedes. Der kybernetische und damit letzte Erklärungsversuch für Innovation soll die notwendige Brücke schlagen, um den ersten und zweiten Ansatz zu überwinden.

(3) Innovation als kybernetisches Perpetuum mobile oder „Archimedes und wo sind die anderen?“

Wenn wir die Annahme treffen, dass alles in unserer Welt auf Kommunikation basiert, wie der Informationsaustausch zwischen Organen in unserem Körper oder der von Menschen innerhalb einer Organisation, begreifen wir die Akteure in ihr nicht als unabhängige und abgetrennte Entitäten, sondern vielmehr als wechselseitig miteinander reagierende Komponenten in einem System. Stabile Kommunikation bedarf allerdings der Störung. Diese Störung bedarf sie, um nicht irgendwann eingependelt stillzustehen (diese Art der Stabilisierung wäre ihr Tod), sondern um ständig zu vibrieren. Dieses stabilisierende, aber doch dynamische und fluktuierende Bild findet sich wieder in der Kybernetik.

Kybernetik (lat. für Steuermann) definiert sich als die Wissenschaft von der Kommunikation und Kontrolle von lebenden Organismen und Maschinen. Im Zentrum dieses Ansatzes steht das Prinzip der Rückkopplung, welches am Beispiel eines Thermostats leicht nachvollziehbar ist. Das Thermostat vergleicht den Istwert eines Thermometers mit einem Sollwert, der als gewünschte Temperatur eingestellt wird. Eine Diskrepanz zwischen diesen beiden Werten veranlasst den Regler im Thermostat dazu, die Heizung so zu regulieren, dass der Istwert den Sollwert anstrebt. Die Kybernetik modelliert die Regelung der Körpertemperatur eines Organismus oder das Marktgeschehen einer Gesellschaft auf dieselbe Art und Weise.

Wir leben nicht nur in Zeiten von Krieg und Revolution in Systemen der Unsicherheit, sondern eigentlich permanent. Ein System strebt laut der Kybernetik zwar ständig nach Selbstregulation, kann oder soll die angestrebte Balance aber nie ganz erreichen, da diese, wie zuvor postuliert, der Tod des Systems wäre. Störungen, die durch Änderungen im Gesamtsystem angestoßen werden, führen wieder zu Anpassungen, die die Autopoiesis zum Ziel haben. Innovation kann in dieser Hinsicht als Störung definiert werden. Zur Beschreibung eines derart komplexen Systems soll die folgende Anekdote über die Entstehung des Internets veranschaulicht werden:

„Vielen sollte bekannt sein, dass das ARPANET der Vorläufer des heutigen Internets ist. Dieses in den 60er Jahren vom Militär initiierte Projekt sollte Universitäten, die für das Verteidigungsministerium forschten, mittels eines dezentralen Netzwerkes verbinden und insbesondere die Ausfallssicherheit zum Ziel haben. Die Idee des heute bekannten Internets ward geboren. In der Phase zwischen dem 2. Weltkrieg und dem bevorstehenden Krieg in Vietnam haben sich damals in den USA die Hippies als Studenten- und Gegenbewegung formiert. Flower-Power, Anarchismus und halluzinogene Drogen waren der Nährboden für Freaks, Nerds und Hacker. Letztere Personengruppe samt ihrer innovativen und alternativen Ideen und Herangehensweisen bekam Aufmerksamkeit von Regierungskreisen und viele davon wurden tatsächlich Mitglieder im besagten Militär-Projekt. Dass die ewigen Fronten Krieg (Militär) und Frieden (Hippies) in gewisser Form einen gemeinsame Basis fanden und etwas später das größte soziale Netzwerk der Menschheitsgeschichte hervorbrachten ist wohl blanke Ironie, aber nichtsdestotrotz Realität und Bestandteil eines komplexen Systems.“

Diese Geschichte soll primär verdeutlichen, dass Bewegungen Gegenbewegungen zur Folge haben, damit sich das System selbst reguliert. Anpassungsprozesse des Systems bilden Störungen hervor (siehe Innovation des Internets), die wiederum zu Anpassungen bzw. der Selbstregulation führen müssen. In ähnlicher Weise könnte sich die Geschichte von Archimedes und der Wichte abgespielt haben. Die Irrungen und Wirrungen, die letztlich zu einer Innovation geführt haben – das lange Vorspiel – bleiben für den oberflächlichen und ungeschulten Blick weitgehend verschlossen.

Dieser Aufsatz negiert, dass es geniale Köpfe alleine in der Hand haben die Welt mit Innovationen zu beglücken. So wie die Dynamik der Meere in Form von Wellen durch unzählige Faktoren beherrscht wird wie Kontinentalplattenverschiebungen, Klima- und Wetterextreme, Sonnenaktivität, Wasserverschmutzung und –Konsistenz und vieles mehr. Gleichermaßen wird auch der einzelne Innovator von externen Variablen determiniert. Die Existenz einer Riesenwelle ist nicht per se auf die Riesenwelle selbst zurückzuführen, sondern auf die Gesamtheit von Variablen eines komplexen Systems, welches ineinander gekoppelt ist. Dieser Aufsatz negiert, dass Innovation zwangsläufig entstehen muss. Innovation wird als konstruktivistischer Akt verstanden, der in Kombination von kulturellen und individuellen Prozessen ausgelöst wird. In diesem Sinne wird Innovation nicht als evolutionäres Prinzip verstanden, sondern als Ergebnis von Störungen in einem kybernetischen System, welches im Kreislauf von Ordnung und Chaos sich selbst reguliert. Heureka ist insofern die egoistische Simplifizierung einer komplexen Wirklichkeit.

References

Rogers E.M. (2003): „Diffusion of Innovations”, Fifth Edition, Free Press, New York
Macrone M. (1998): „Heureka!“, Dtv, Deutschland
Film: Das Netz (2004)
http://www.archimedes-projekt.de/geschichte.htm


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