Die folgenden Zeilen beschäftigen sich weiterhin mit dem Thema wie man die Lebensmittelgeschäfte der Zukunft gestalten und denken kann, das bereits in Beyond Organic aufgegriffen wurde. Dabei wird das Konzept Zero Waste im Detail aufgegriffen und die Probleme der Verpackung von heute und die Möglichkeiten deren Vermeidung von morgen beleuchtet.
„In China erzählt man sich seit mehr als zweitausend Jahren die Geschichte eines Geschäftsmannes, der mit Perlen handelte. Da er einen möglichst guten Preis erzielen wollte, bemühte er sich um eine besonders edle Verpackung. Für die Schachtel wählte er wertvolles Holz, ferner bestückte er sie aufwendig mit Edelsteinen und parfümierte sie zusätzlich mit teuren Aromen. Schnell fanden sich zahlreiche Interessenten, und der Höchstbietende erhielt schließlich die Schachtel. Die Perlen jedoch gab er, so die Pointe, dem Händler zurück, gefiel ihm doch eigentlich nur die Verpackung.“ (Ulrich, 2013)
Diese Geschichte kann durchaus auch auf unsere westliche Welt umgemünzt werden, in der der Verpackungswahn schon zum Selbstzweck wird. Die Verpackungsindustrie rühmt sich damit, dass Dosierung, Portionierung mit Hand und Schaufel, sowie Waage und Papiertüte verschwunden sind. Begründet wird dies damit, dass auch die Probleme der Lebensmittelhygiene eliminiert worden sind. Überdies können Kosten (durch Personaleinsparungen) und Zeit (Mehraufwand durch ursprünglichen Einkauf und Zubereitung) durch Verpackung von Lebensmitteln gespart werden.
Dennoch: Laut der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) wird weltweit rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weggeworfen. Spitzenreiter sind die westlichen Industrienationen, deren Lebensmittel besonders gut geschützt durch Verpackung sind. Nach Angaben der FAO landen pro Jahr und Kopf 95 bis 115 Kilo auf dem Müll. Effizient ist das nicht. Und kostensparend schon gar nicht, wenn zum Beispiel ein Apfel aus Neuseeland in einem österreichischen Haushalt im Müll landet, weil dieser vielleicht eine faule Stelle hat, und dies trotz intensiven Verpackungs- und Konservierungsbemühungen.
Es scheint, dass die Verpackung uns wie in der Geschichte zu Beginn geblendet hat. Verpackung verschließt uns den Blick auf das, was es eigentlich ist – ein Mittel zum Leben. Es erweckt die Illusion eines unzerstörbaren und dauernd haltbaren Produkts, das von außen geruchsneutral und mit den Augen meist nicht sichtbar ist. Der Wert von Lebensmittel im doppelten Sinne ist am Schwinden. Während wir heute nur mehr knapp über 10% unseres Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgeben, waren es in den 60 und 70er Jahren noch über 40%. Kosten zu sparen ist die eine Seite der Medaille, Einbußen bei der Qualität in Kauf zu nehmen, ist die andere Seite. Die Frage ist, sind wir glücklich mit alledem? Der tägliche Spaziergang im Supermarkt der Wahl lässt anderes vermuten. Der Lebensmitteleinkauf ist mehr ein notwendiges Übel als ein Erlebnis wie es in Märkten in anderen Ländern oder in der Vergangenheit noch praktiziert wurde. Die Agora (Marktplatz) der Römer wurde wie folgt beschrieben:
„Übermäßig appetitlich ist das alles nicht; die Früchte haben keinen Saft, sind klein und hart; das Fleisch ist von zweifelhafter Qualität, die Käsesorten alles andere als verlockend; doch immerhin, die Agora brodelt von Leben.“ (Schwedt, 2006)
Der Vollständigkeit halber grundlegende Funktionen der Verpackung: Neben der Schutzfunktion (bei Lagerung und Transport) erfüllt die Verpackung auch noch andere Funktionen wie etwa als Informationsträger (Identifikation, Differenzierung, Strichcode und gesetzliche Angaben) und zur Bündelung/Entnahme bei flüssigen Produkten und sogenannten Schüttgütern (Milch, Zahnpasta). Ob dies alles eine Verpackung unabdingbar macht, ist dennoch in Frage zu stellen. Allein der Informationsträger muss nicht direkt am Lebensmittel selbst angebracht sein, sondern kann in irgendeiner anderen Form neben dem Produkt platziert werden. Strichcodes können durch neue Technologien ersetzt werden und digital abrufbare Informationen sind weitaus zeitgemäßer als aufgedruckte und kleingedruckte Informationen wie: „Kann Spuren von Nüssen enthalten“.
Eine Welt ohne oder zumindest mit vergleichsweise wenig Verpackung gab es natürlich bereits auch in unserem europäischen Kulturkreis. Der Greißler oder in Deutschland auch Tante-Emma-Laden genannt, war im Prinzip nichts anderes, als die Umsetzung eines Zero-Waste-Konzepts.
Die Welt der Verpackung hat das Thema Recycling groß werden lassen. Immer mehr Verpackung führte zu immer größeren Müllbergen, was natürlich auf Dauer nicht hinnehmbar ist. Recycling ist das große Paradox unserer Zeit, um dieses Problem zu lösen. Zero Waste propagiert das sogenannte Precycling, was nichts andreres ist, als das Vermeiden von Müll bzw. Verpackung in erster Linie.
Auf Basis der „Zero Waste International Alliance“ wird Zero Waste wie folgt beschrieben:
„Zero Waste ist ein ethisches, ökonomisches, effizientes und visionäres Ziel, um die Menschen anzuleiten ihren Lebensstil zu ändern indem sie ihre Handlungen an nachhaltigen und natürlichen Kreisläufen ausrichten. Zero Waste bedeutet Produkte und Prozesses systematisch so zu gestalten, dass die Masse und Toxizität von Abfall verringert oder besser überhaupt vermieden wird. Zero Waste will alle Abfälle zu Land, zu Wasser und in der Luft vermeiden, die eine Bedrohung für den Planeten, Menschen und Tier, sowie Pflanzen sind.“
Verpackung hat viele Vorteile hinsichtlich Hygiene und Konservierung. Welche Faktoren sprechen aber dagegen, oder vielmehr für ein Verzichten auf Verpackung?
Wie bereits erwähnt, hat der Verpackungswahn ökologisch bedenkliche Auswirkungen, überhaupt wenn Verpackungsmüll erst gar nicht dem Recycling-Kreislauf zugeführt wird. Wenn 40% des gesamten Mülls auf diversen Deponien aus Verpackungen besteht, welche nur einmal verwendet wurden, dann kann man nicht von gesunden und nachhaltigen Kreisläufen sprechen. Auch wenn Recycling-Kreisläufe genutzt werden, sind diese meist nicht sehr effizient. Mit der Reduktion von Verpackung bei Lebensmittel kann man nicht nur Material einsparen, sondern auch Energie, denn jede Verpackung unterliegt einem industriellen Prozess, der Energie benötigt. Einsparungen von Energie bei der Produktion verbunden mit geringeren Transportwegen (Bevorzugung von regionalen Produkten) kann überdies beträchtliche Mengen CO² einsparen, das wiederum dem Klima zuträglich ist.
Mit dem Weglassen von Verpackungen können überdies Kosten für sündteure Verpackungssysteme und Marketing eingespart werden. Die Verpackungsindustrie hat es zwar geschafft die Konservierungs- und Hygieneproblematik zu lösen, aber das nur auf dem ersten Blick. Längere Haltbarkeit hat nur zu längeren, globalisierten Transportwegen geführt, die eigentlich nicht notwendig sind, da man auch auf regionale und saisonale Produkte ausweichen kann. Zudem zeigt die Erfahrung, dass Konsumenten heutzutage nicht bewusster mit Lebensmittel umgehen, sondern im Gegenteil. Da eh alles perfekt konserviert und haltbar ist, wird dem Lebensmittel an sich weniger Beachtung und Bedeutung geschenkt und etwas lieber gleich weggeschmissen, wenn sich etwas dem Ablaufdatum nähert. In Österreich werden beispielsweise 300 bis 400 Euro in Form von Lebensmitteln einfach weggeworfen.
Durch Verpackung ist die Distanz zwischen Mensch und Lebensmittel nicht nur physisch größer geworden, sondern auch psychisch. Die Lebenswelten trennen sich. Es ist wichtig, was auf der Verpackung steht, wie viel Fett, Kohlenhydrate etc. enthalten ist. Das Lebensmittel an und für sich wird quantifiziert und verliert unweigerlich seine qualitativen Eindrücke. Durch bestens verpacktes Convenience Food geht auch langsam das Wissen vorüber, was für ein Grundnahrungsmittel dahintersteckt und wie man damit umgehen muss, im Sinne von Lagern, Konservieren und Zubereiten.
Verpackungen nehmen uns auch die Entscheidung ab, wie viel wir von etwas brauchen. Bei steigenden Ein- und Zweipersonen-Haushalten, machen handelsübliche, standardisierte Verpackungen wenig Sinn. Übriggebliebene Lebensmittel müssen gelagert werden und oft landen diese dann bei Verstreichen des Ablaufdatums im Müll. Verpackung hat den Umgang mit Lebensmittel nachhaltig verändert, und es gilt diese Gewohnheiten wieder zu ändern.
Nicht zuletzt erlebnisorientierte Vorteile können aus dem Weglassen von Verpackungen erreicht werden. Indem jedes Lebensmittel zu 100% sichtbar, fühlbar und teilweise sogar riechbar ist, werden wieder alle Sinne des Konsumenten angesprochen. Ein vakuumverpacktes Lebensmittel mag zwar hygienisch und konservierend Wunder vollbringen, aber einen kühlen, nicht lebendigen Eindruck vermitteln, was ganz und gar nicht für ein Lebensmittel gelten soll. Die Auswahl wie viel ich haben möchte, ist zusätzlich ein entscheidender Baustein zurück zu einem umfassenderen Einkaufserlebnis.
Eine Alternative zu herkömmlichen, einheitenbezogenen Verpackungen stellen sogenannte „Gravity Bins“ dar. Jeder kennt diese in Verbindung mit Süßwaren, wo man sich die süße Ware nach Art portioniert in einem mitgebrachten Behälter oder einem Papierbeutel füllen lassen kann. Die Menge bestimmt man selbst. Danach wird das ganze entweder mit oder ohne Behälter gewogen und man bezahlt je nach ausgewählter Menge.
Folgend eine Liste mit bisherigen Umsetzungen der Zero-Waste-Idee gereiht nach dem Tag ihrer Eröffnung. Hervorzuheben ist, dass auch in Wien ein Zero-Waste-Geschäft – LUNZERS Maß-Greißlerei – seine Pforten öffnet (Eröffnung am 25.01.2013, 12-18.00 Uhr, 2. Wiener Bezirk, Heinestraße 35). Der Besitzerin Andrea Lunzer geht es nicht nur um den verpackungsfreien Verkauf von Lebensmitteln, sondern auch auch um die Vermeidung von Lebensmittelabfällen, der durch den grammgenauen und somit bedarfsgerechten Einkauf ermöglicht werden kann